Was ist das Meat Paradox?

Die meisten Menschen lieben Tiere und sind gegen Tierleid – doch die meisten verzehren auch Fleisch. Wie passt das zusammen? Die Bezeichnung für dieses Phänomen nennt sich „Meat Paradox“ und ist kompliziert – doch es gibt Lösungen.

Tiere lieben – Tiere essen

Tiere sind liebens- und schützenswert. Wir möchten sie nicht grausam behandeln oder sie ausnutzen. Kaum ein Mensch würde diesen Aussagen widersprechen, die meisten haben Empathie für Tiere, bezeichnen sich selbst als tierlieb und möchten kein Tierleid verursachen oder unterstützen. Und doch zeichnen ihre Verhaltensweise ein ganz anderes Bild – sie essen fast täglich Fleisch, Käse und Eier. Obwohl sie Tiere lieben? Wie lässt sich das erklären? Hinter diesem Widerspruch liegt das Konzept des „Meat Paradox“, einer Form der kognitiven Dissonanz. Diese beschreibt sich widersprechende Handlungen und Moralvorstellungen: Tieren keinen Schaden zufügen zu wollen, sie aber tagtäglich als Lebensmittel zu verzehren. Der amerikanische Sozialpsychologe Leon Festinger hat den Begriff „kognitive Dissonanz“ 1957 zum ersten Mal experimentell beschrieben und konnte beweisen, dass Menschen danach streben, solch ein psychologisches Ungleichgewicht aufzuheben. Logisch, schließlich ist es schwer erträglich, ständig einen inneren Konflikt mit sich zu tragen.

 

Das Problem für den Tierschutz

Konsumieren Menschen Fleisch, so gibt es verschiedene Möglichkeiten für sie, das innewohnende Paradox aufzulösen. Der für die Tiere positive Ausweg ist, dass sie ihr Verhalten anpassen, ihren Weg in den Veganismus finden und aufhören, Fleisch sowie andere tierische Produkte zu verzehren. Das ist die einfachste Methode, denn sie können ihre persönliche Einstellung sowie ihre Verhaltensweise so möglichst schnell wieder in Einklang bringen und es kommt zu keinem Widerspruch mehr. Es ist der konsequenteste Weg für mehr Tierschutz.

Sollten sie ihre Gewohnheiten nicht ändern wollen, passiert Folgendes: „Wir beobachten in der Gesellschaft regelmäßig, dass Menschen versuchen, den Verzehr von Fleisch und tierischen Produkten mittels verschiedener Argumente zu legitimieren. Das Konzept des Meat Paradox hilft zu verstehen, wieso das passiert und weshalb sie oft sehr vehement und emotional gegen den Veganismus debattieren“, so Dr. Isabel Knößlsdorfer, Referentin für Veganismus beim Deutschen Tierschutzbund. Besonders oft sprechen sie den Tieren in der Landwirtschaft das immense Leid ab, das bei der Produktion von tierischen Lebensmitteln entsteht. Sie verleugnen, rationalisieren und verdrängen, was hinter verschlossenen Türen passiert. Darüber hinaus stellen sie keine Verbindung zwischen dem verarbeiteten Produkt und dem einstigen Lebewesen her. Eine Studie zeigt, dass die explizite Benennung der Tiere auf einer Speisekarte, wie zum Beispiel Schwein, Rind oder Huhn statt Schnitzel oder Steak, oder sogar das Platzieren eines ganzen Schweinekopfes auf dem Tisch für mehr Empathie in Menschen sorgen als bis zur Unkenntlichkeit verarbeitete Fleischprodukte, wie zum Beispiel Würstchen.

 

 

Darüber hinaus bewerten Menschen Tiere unterschiedlich und sortieren sie in zwei Kategorien ein – essbar und nicht essbar. „Auch hier zeigen Studien, dass Menschen Tieren, die sie als für den Verzehr geeignet einstufen, umso weniger Verstand zusprechen – da leistet das Meat Paradox ganze Arbeit“, so Knößlsdorfer. Andererseits schafft die Gesellschaft das Bild der emotionalen, cleveren Haustiere. Der Verzehr von Hunden ist hierzulande beispielsweise nicht üblich und wird moralisch sogar schwer verurteilt. Kühen, Schweinen und Hühnern sprechen Menschen solche Charaktereigenschaften viel eher ab – ob es stimmt oder nicht. Auf diese Art distanzieren sie sich von den Tieren und legitimieren so den Konsum von Schwein, Rind und Geflügel. Kategorie: essbar. Dabei sind die Tiere in der Landwirtschaft äußerst intelligent, binden sich an ihre Herdenmitglieder und haben liebevolle Eigenschaften, wie Du auf unseren Tierseiten nachlesen kannst – ein Unterschied zu unseren Heimtieren existiert nur in den Köpfen. Dieses Konzept heißt Speziesismus und beschreibt die unterschiedliche Behandlung von verschiedenen Spezies.

Was ist die Lösung?

Ganz gleich, ob Menschen so tun, als gäbe es keine Schlachthöfe, ob sie sich distanzieren, zu rational betrachten, was sehr leidbehaftet ist oder einfach falsch bewerten, ob und wie Tiere fühlen – das Meat Paradox schadet den Bemühungen zahlreicher Tierschutzorganisationen und dem Veganismus. Dabei wäre es viel logischer, wenn wir Lösungen für die immense Problematik finden, welche die Tierhaltung für zig Millionen Lebewesen darstellt.

Die Lösung ist immer der gemeinsame Diskurs. Egal, ob Du bereits vegan lebst, auf dem Weg bist oder Fleisch isst: Die Auseinandersetzung mit den Tieren und mit dem Veganismus als Lebensweise bringt nicht nur Dich, sondern auch Deine Mitmenschen weiter. Es geht niemals darum, mit einem erhobenen Zeigefinger Schuldige zu finden, sondern eine bessere Welt für die Rinder, Schweine, Hühner, Schafe und die vielen Tiere in der Landwirtschaft zu kreieren. Während wir Menschen oft mit uns selbst beschäftigt sind, vergessen wir, dass sie ein unerträglich schweres Leben hinter geschlossenen Stalltüren fristen, das wir uns kaum vorstellen können.

Eine Studie zeigt, dass ein Drittel der Personen lieber auf einen leeren Bildschirm starrt, als Informationen zur Haltung von Schweinen zu erhalten. Der Großteil der Teilnehmer*innen gab an, so zu handeln, um Schuldgefühle beim Kauf und Konsum von Fleisch und anderen tierischen Produkten zu verringern. Aus diesem Grund ist es so wichtig, dass sowohl passionierte Veganer*innen, Tierschützer*innen, Tierrechtler*innen und auch Menschen, die mit den Themen noch nicht in Berührung gekommen sind, gemeinsam über die Mechanismen diskutieren, die unsere Gesellschaft bisher davon abhalten, den Weg der Besserung einzuschlagen. Höre Dir an, was Tierschutzorganisationen, befreundete Veganer*innen, aber auch omnivor, also mischköstlich, lebende Menschen, zu sagen haben. Beantworte ihre Fragen und versetze Dich in ihre Perspektiven. Nur so können wir gemeinsam die vegane Bewegung stärken. Für die Tiere.

 

Von Melanie Frommelius, Redakteurin beim Deutschen Tierschutzbund